Die Capoeira ist Weltkulturerbe!

Erschienen im März 2015 bei Brasilien Magazin

CapoeiraCapoeira ist ein stilisiertes Scheingefecht, ein ästhetisches Duell, Akrobatik, Kampf, Musik und Tanz sind die Elemente, die in der Sklavenzeit zusammengefügt wurden und bis heute die Faszination dieses Sports in der ganzen Welt – bei Frauen und Männern gleichermaßen – ausmachen.

Von Robin Daniel Frommer

Seit November 2014 zählt die UNESCO die Capoeira zum immateriellen Weltkulturerbe. Der während der Kolonialzeit entstandene Kampftanz hat seine tradierten Wurzeln in Recife, Rio und Salvador. Die Capoeira ist in Brasilien weiter verbreitet als alle anderen Kampfsportarten zusammen und sie folgt „König Fußball” auf Platz Zwei der Beliebtheitsskala. Die wörtliche Übersetzung lautet übrigens: „Hahnentanz”. Bereits ab den 1980erJahren wurde die Capoeira in der ganzen Welt zu einem brasilianischen Exportschlager. Wer den spielerischen Mix aus Kampf und Tanz heute erlernen möchte, hat die freie Wahl zwischen den „klassischen” Capoeira-Schulen in Brasilien und den Trainingszentren im Ausland.

 
 “Die Capoeira wird stark vom Moment bestimmt. In der Regel ist sie spielerisch und spaßbetont – sie kann aber auch zum kampfbestimmten Jogo duro werden“.
Luiz Carlos dos Santos Gomes, Capoeira Karlsruhe e.V.
(Foto oben Links)

Was ist das Besondere an der Capoeira? Und warum ist die für Männer und Frauen gleichermaßen geeignet? Blessuren sind äußerst selten, denn der Körper des „Widersachers” wird bei der Capoeira so gut wie nie berührt: Attacke, Finte, Abwehr und Gegenangriff bleiben allesamt spielerische Andeutungen. Das Duell beginnt stets in Zeitlupentempo und steigert sich kontinuierlich im Rhythmus der kreisförmig angeordneten Perkussionsinstrumente. Eine voluminöse Atabaque-Fasstrommel, zwei Pandeiros (Schellentamburine), eine Agogô-Doppelglocke und bis zu drei der nur mit einer Saite bespannten Musikbögen Berimbau sind bei dem körperlosen Kampftanz ebenso unverzichtbar wie Lobgesang: die sogenannten „Ladainha”.

Luiz Carlos „Cao” dos Santos Gomes Sobrinho trainiert in Karlsruhe gut 80 Capoeira-Schüler. Der 28-Jährige stammt aus der knapp 500.000 Einwohner zählenden Stadt Campos dos Goytacazes im Staat Rio de Janeiro; sein individueller Werdegang ist geradezu typisch für den weltweiten Export der Capoeira: Er hat in Brasilien Sportwissenschaften studiert und in Deutschland seine Masterarbeit über die Biomechanik der Capoeira-Bewegungen geschrieben. Er macht deutlich: „Capoeira ist nicht nur mein Beruf, sondern auch meine Lebensphilosophie”. Der Sport,  so sagte er, habe Einfluss auf alle seine Entscheidungen. „Die Capoeira mag als Kampf entstanden und als Tanz getarnt worden sein, heute ist sie vor allem ein Spiel, das neben der physischen Kondition auch Rhythmus und Musik, demokratische Teilhabe und das Sozialverhalten in einer gleichberechtigten Sportgemeinschaft verbindet. Gerade bei jungen Menschen, die ihren Weg noch suchen, beobachte ich immer wieder, dass Capoeira maßgeblich zum Reifen ihrer Selbstsicherheit beiträgt”.

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Zur Geschichte der Capoeira

Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen zur Capoeira stammen aus dem 19. Jahrhundert. Die Vermutung liegt nahe, dass der Kampfsport von aus Angola und dem Kongo verschleppten Bantus entwickelt wurde. Da die Sklavenhalter Kampftechniken ihrer Leibeigenen drakonisch unterbanden, tarnten die Sklaven ihr Training vorsorglich als Tanz. Der Name „Capoeira” stammt aus Brasilien; er kommt in keiner afrikanischen Sprache vor.

Die Obrigkeit begegnete dem Kampfsport noch lange nach der Sklavenbefreiung im Jahr 1888 mit Ablehnung und demonstrativer Härte. Das änderte sich erst 1953, als der damalige brasilianische Präsident Getúlio Vargas die Capoeira „den einzig wahren brasilianischen Sport” nannte. Zu verdanken ist die seither erreichte gesellschaftliche Akzeptanz dem legendären brasilianischen Capoeira-Meister Mestre Bimba (1899–1974) aus Salvador da Bahia, der mit bürgerlichem Namen Manuel dos Reis Machado hieß. Er führte als erster methodisches Training ein.

Inzwischen schreibt in Brasilien sogar ein Gesetz vor, dass afrobrasilianische Künste – und damit auch die Capoeira – in den Schulen unterrichtet werden müssen. Heute wird zwischen der traditionellen Variante Capoeira Angola und der durch Mestre Bimba geprägten Capoeira Regional unterschieden. Die in Europa gut vertretenen Schulen der Abadá-Capoeira verbinden beide Stilarten miteinander. Mit über 50.000 Mitgliedern in Brasilien und in 56 Ländern auf allen Kontinenten ist Abadá-Capoeira die größte Capoeira-Vereinigung weltweit.