Das Spiel in der Roda

Erschienen am 05.07.2014 bei BNN

Der Brasilianer Luiz Carlos dos Santos Gomes und seine Frau Lila unterrichten Capoeira – den Nationalsport vom Zuckerhut

Von unserem Redaktionsmitglied Patrizia Kaluzny

BNN-Artikel

Rhythmischer Gesang begleitet von Trommelklängen erfüllt den hellen Raum. Die weiß gekleideten Männer und Frauen haben einen Kreis gebildet, sie klatschen. Zwei Männer stehen sich in der Mitte gegenüber, schauen sich für einen Moment fest in die Augen. Dann geht es los. Angriff folgt auf Angriff, Ausweichbewegung auf Ausweichbewegung. Während sich der eine Körper ganz dicht am Boden duckt wie ein lauerndes Raubtier, sein Gegenüber taxiert, springt der Kontrahent hoch und wirbelt durch die Luft. Auf den ersten Blick ist man sich nicht sicher. Ist es Kampfsport? Ist es ein akrobatischer Tanz? Capoeira ist beides.

Wenn die Capoeiristas in ihren Kreis, die sogenannte Roda, treten, geht es weniger um Sieg oder Niederlage. Es wird nicht gekämpft, „es wird gespielt“, sagt Lila Sax dos Santos Gomes. „Capoeira ist wie eine Unterhaltung, es ist voller Symbole.“ Ziel des Spiels ist es nicht, den anderen durch Aggression zu „besiegen“, sondern sich in gekonntem Zusammenspiel durch geistige und körperliche Geschicklichkeit und Schnelligkeit die Grenzen aufzuzeigen.

Lila Sax dos Santos Gomes beherrscht diese „Unterhaltung“ perfekt. Die 30- Jährige ist Weltmeisterin und dreifache Europameisterin in Capoeira. Zusammen mit ihrem Mann Luiz Carlos dos Santos Gomes, der bei der WM im vergangenen Jahr zu den acht Besten in seiner Klasse zählte, unterrichtet sie den brasilianischen Nationalsport in Karlsruhe. Zweimal in der Woche treffen sich die Capoeiristas im Anne-Frank-Haus, dienstags findet das Training mit Kindern im Kulturhaus Mikado statt.

Für den 27 Jahre alten Brasilianer aus Rio de Janeiro ist Capoeira eine Lebensphilosophie: „Es verbindet die Sprache und Kultur Brasiliens. “Ohne Musik geht es nicht, sie ist wesentlicher Bestandteil der Capoeira. „Die Instrumente bestimmen den Rhythmus in der Roda“, erklärt Luiz Carlos dos Santos Gomes. Im Training spielen er und seine Frau die Fasstrommel Atabaque, das Pandeiro (Schellentrommel), die Agogô-Glocke, ein brasilianisches Percussionsinstrument, das aus den Schalen zweier Paranüsse besteht, und das Berimbau. Den brasilianische Musikbogen mit einer Drahtsaite, einem Stab und einem Klangkörper aus einer Kalebasse zu spielen, erfordere viel Können, so der Brasilianer. Unterrichtet und gesungen wird auf Portugiesisch – auch in Karlsruhe.

„Viele verbinden Capoeira mit Akrobatik, denken, dass man Salti machen muss, und trauen sich deshalb nicht, es auszuprobieren“, bedauert Luiz Carlos dos Santos Gomes und lacht. Dabei sei Capoeira ein ganzheitliches Training, bei dem man Kraft, Schnelligkeit, Koordination, Gleichgewicht und Ausdauer übt. „Unser Training ist so angelegt, dass man jederzeit einsteigen kann. Das wesentliche sind die Basisbewegungen.“ Und damit auch Ginga, der Grundschritt der Capoeira.

Das Capoeira-Fieber packte den Brasilianer 1995, acht Jahre später fing er an, selbst Unterricht in seiner Heimat am Zuckerhut zu geben. Luiz Carlos dos Santos Gomes unterrichtete in verschiedenen sozialen Projekten, unter anderem für kriminelle Jugendliche. 2010 kam er nach Karlsruhe, um Sportwissenschaften zu studieren. Hier gründete er auch den Verein Abadá-Capoeira Karlsruhe, der inzwischen rund 60 Mit- glieder zählt. 2011 traf er Lila beim Capoeira-Training in Heidelberg zufällig wieder. „Kennengelernt haben wir uns bereits 2005 bei der Capoeira-WM in Brasilien“, erzählt die 30-jährige US-Amerikanerin, die seit ihrem 16. Lebensjahr in Deutschland lebt. Sie suchte damals nach einer Sportart und fand Capoeira. Die Mischung aus Kampfkunst, Musik und brasilianischer Kultur faszinierte sie sofort: „Alle können mitmachen, unabhängig von Alter, Sprache und Fitness.

“ Als Lila und Luiz Carlos im vergangenen Jahr heirateten, feierten sie eine brasilianische Hochzeit – natürlich mit Capoeira. Mitten in der Heidelberger Altstadt spielten sie miteinander in der Roda, die Familie, Freunde und ihre Schüler auf dem Kopfsteinpflaster gebildet hatten.

I Service

Weitere Informationen gibt es unter http://capoeira-karlsruhe.de.

Stichwort

Capoeira: Die ersten schriftlichen Belege über die Existenz der Capoeira stammen aus dem 19. Jahrhundert. Ihr afrikanischer Ursprung lässt sich nicht leugnen. Da die schwarzen Sklaven keine Kampftechniken anwenden durften, tarnten sie diese kurzerhand als Tanz. Als die Kolonialherrscher immer mehr auf den rebellischen Kampftanz aufmerksam wurden, stellten sie diesen unter schwere Strafe. Da die Capoeira von da an mit gewalttätigen Straßenkämpfen verknüpft wurde, konnte sie sich lange nicht zu dem charakteristischen afro-brasilianischen Sport entwickeln, die sie heute ist.

Eine nationale Anerkennung erfolgte erst 1953, als der Präsident Getúlio Vargas die Capoeira als „einzig wahren brasilianischen Sport“ lobte. Zu verdanken ist das dem brasilianischen Capoeira-Meister, Mestre Bimba.

Inzwischen gibt es in Brasilien sogar ein Gesetz, das verlangt, dass afro-brasilianische Künste – und damit auch Capoeira – in den Schulen unterrichtet werden müssen. Heute wird zwischen der traditionellen Variante Capoeira Angola und der durch Mestre Bimba geprägten Capoeira Regional unterschieden. Abadá-Capoeira verbindet beide Stile miteinander. Mit über 50 000 Mitgliedern in Brasilien und in 56 Ländern auf allen Kontinenten ist Abadá-Capoeira die größte Capoeira-Vereinigung weltweit.